Kapitel 3: Die Zeit nach 1945

Weil das Nelsonen-Bootshaus im Schussfeld gegen die in den letzten Kriegstagen an rückenden Amerikaner lag, gab ein Wehrmachtsoffizier der deutschen Armee an verblendete Hitlerjungen den Befehl, das Bootshaus mit Leuchtspurmunition und Panzerfaust zu zerstören, ohne das Boote und Ausrüstungen gerettet werden durften.

Die Rudervereine fielen unter das „Kontrollratsgesetz Nr. 2 zur Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen vom 10. Okt. 1945“ der Alliierten und wurden verboten. Jungen Nelsonen, die das Trümmerfeld beräumten, um später das Bootshaus neu aufzubauen, wurde dies untersagt.

Das Bootshaus des HRV in Böllberg blieb zum Glück ohne große Kriegsschäden. Mit dem Verbot der Ruderclubs wurde das Gebäude zum Volkshaus umfunktioniert. Nach einer „inoffiziellen“ Wanderfahrt, die Ruderer aus den drei ehemaligen halleschen Vereinen unternahmen, verstärkte sich der Wunschalter Ruderkameraden, wieder offiziell rudern zu dürfen. Werner Becher, damals Jurastudent und Teilnehmer dieser Wanderfahrt, bekam von der Abt. Sport und Kultur der FDJ, in Person von Margot Feist (später Margot Honecker) nach längerer Diskussion die Zusage, die Gründung einer Rudersparte in Halle, mit Auflagen, zu unterstützen. Solche Auflagen waren z.B.,

  • kein selbständiger Verein, sondern nur als Sparte einem demokratischen Sportverein zugeordnet
  • Ausschluss der alten Vereinsführung an einer Neugründung

Am 19. Febr.1949 fand dann im Sportlerheim der SG Fichte in der Merseburger-/Ecke Huttenstraße die Gründung der Sparte Rudern in der ZSG KWU Abt. Fichte statt.

Obwohl im 2. Halbjahr 1947 alle noch intakten Rennboote- und Gigs des HRV und des HRC beschlagnahmt und als „Kriegsbeute“ abtransportiert wurden, fand mit der neuen Rudersparte in der SG Fichteim März 1949 mit Ruderern des HRV, HRC und den Nelsonen und „Restbeständen“ instandgesetzter alter und geliehener Boote (aus Privatbesitz und von Wiking Leipzig der Vierer „München“) das erste Anrudern nach dem Krieg in Halle statt.

1949: -ZSG KWU, Abt. Fichte, Sparte Rudern

Nach dem Anrudern im März erfolgte in nur 5 Monatenein äußerst erfolgreiches 1. Ruderjahr in Halle, in dem bereits

  • 1 Ostzonenmeisterschaft
  • 2 Landesmeisterschaften
  • 4 Siege auf zonenoffenen Regatten und
  • 5 weitere Regattaerfolgezu verzeichnen waren.

Dies ist besonders bemerkenswert, weil die Erfolge von 3 Rennvierermannschaften mit nur einem Gig-Trainingsboot und einem in Leipzig geliehenen Rennvierer als Trainingsgrundlage erzielt wurden.

Abrudern 1949 an traditioneller Streck

Am 23. Oktober wurde, 75 Jahre nachdem der Rudersport in Halle (13.10.1874 –> Nelson) aus der Taufe gehoben wurde, das erste Abrudern nach dem II. Weltkrieg an traditionsreicher Ruderstrecke, wo einst die ersten Ruderclubs Nelson und 10 Jahre später der HRV (ab 1915 Böllberg) ihren Ursprung hatten, durchgeführt. Auch hier ruderte man in geborgten Booten, -zwei Vierer hat man durch einige Schleusen von Weißenfels hierher gerudert.

Der neue „Sparten“-Vorsitzende, Werner Homberg, konnte mit der neuen Spartenleitung viele Gäste und alte Ruderkameraden (Klappenbach, Bührlein, Blankenstein, Knäusel, Krasemann u.a.) begrüßen.

In den spannenden Rennen, wo entsprechend dem vorhandenen Bootsmaterial die Einer dominierten und keine Achterrennen ausgetragen wurden, wurden Spartenmeister

  • im Fraueneiner = Ingrid Reich
  • im Männereiner = Wolfgang Schmidt
  • im Altersvierer (über 35) = Arndt, Hoffmann, Ikes, Kloth
  • im Vierer mit Stm. = Schlegel, Powik, Wolff, Becher, Stm. Paul Werner (die Ostzonenmeister)

In einem der vielen Einerrennen wurde übrigens der erfolgreiche Leichtathlet Rolf Donath Zweiter hinter Sportkamerad Schubert vor dem Rennsteuermann Gerd Satke. Bemerkenswert ist für das erste Jahr der Rudersparte die wachsende Mitgliederzahl von 70 interessierten Ruderern zur Gründung im Februar bis zu 380 Mitgliedern imOktober! (LDZ vom 08.08.1949)

1950: Zum Anrudern am 16.04.1950 wird ein vom Landessportausschuß übergebener Gig-Achter vom Oberbürgermeister Halles und Spartenleiter Homberg auf den Namen „Landeshauptstadt Halle“ getauft. Damit begann, auch in dieser Bootsklasse, eine für die nächsten Jahre äußerst erfolgreiche Zeit.

Der erste Titel: Ostzonenmeister im Gig-Vierer mit Stm.
Landesmeister 1949 im Vierer mit Stm.v.l.: Ruderkameraden Satke, Hering, Schlegel, Metz, Knauth

1951 konnte auch die Frauen-Jugend auf sich aufmerksam machen und wurde im Gig-Doppelvierer mit Stm. Jugend-DDR-Meister.

1952 unterstrichen die halleschen Ruderer ihre führende Rolle bei den DDR-Meisterschaften in Berlin-Grünau, indem sie von zehn gemeldeten Rennen fünf Titel nach Hause fahren konnten.

Neben dem großen Achter holte sich Wolfgang Schmidt den Titel im leichten Einer, der Vierer mit Stm. holte für Halle den 3. Titel, Ruth Hoffmann und Brigitte Pfeiffer gewannen im leichten Doppelzweier und letztlich holte unser Doppelvierer im Stilrudern der Frauen den Titel Nr. 5.

1953 setzte sich die Erfolgsserie der Ruderer fort, die nun seit 1952 als BSG Einheit Mitte Halle ruderten. Ende des Jahres beschloss man, Leistungszentren für Ruderer zu schaffen. Dank der erzielten Erfolge wurde Halle neben Magdeburg und Berlin ausgewählt. 1953 wurden aus verschiedenen Vereinen Leistungssportler nach Halle berufen. Voll zum Tragen kam dies erst nach Klärung der finanziellen Voraussetzungen 1954 mit Trägerschaft der Chemiebetriebe, -Leuna für den Leistungssportbereich und Buna für den Breitensport.

Sportlich wurde jedoch deutlich, dass der DDR-Rudersport sich insgesamt weiter entwickelt hatte und das Siegen gegen die Konkurrenz schwieriger wurde. Das wurde auch zu der großartig besetzten und auch organisierten halleschen Ruderregatta vor über 5.000 Zuschauern deutlich, wo es noch einzig im Vierer einen überlegenen Sieg gab, der bis dato so erfolgreiche Achter aber von den Streitkräften (See), wie auch der leichte Achter geschlagen wurde. Zur DDR-Meisterschaft konnte der Vierer mit Stm. (Harald Wolff, Lothar Wundratsch, Harald Schwaten, Fred Rother, Stm. H. Panzer) den Titel holen.

Der Achter errang in RG mit zwei Berliner Ruderern die Silbermedaille zu den Weltfestspielen in Bukarest. Der Doppelzweier mit Lothar Mauritz und Wolfgang Schmidt wurde Vizemeister.

Lothar Mauritz und Wolfgang Schmidt legen als Vizemeister in Berlin-Grünau am Steg an
Gesamtdeutscher Meister im Stilrudern: Ingeborg Becher, Erika Helbing, Ingeborg Schulz, Brigitte Pfeiffer, Stf. Renate Zehnpfund mit Trainer Horst Völker

1954 konnte mit dem Anrudern Sektionsleiter Werner Becher als Anerkennung für jahrelange erfolgreiche Arbeit die Taufe von neuen Sportbooten vornehmen, die fast den gesamten Bootsplatz zwischen Bootshaus und Saale einnahmen. Folgende Sportboote und ein Motorboot wurden vom Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport angeschafft:

  • 2 Rennachter
  • 2 Rennvierer mit Stm.
  • 1 Rennvierer ohne Stm.
  • 1 Zweier mit Stm.
  • 1 Zweier ohne Stm.
  • 1 Renneiner
  • 1 Gig-Achter
  • 1 Gig-Vierer

Der größte Erfolg 1954 war die Erringung des gesamtdeutschen Meistertitels im Frauen Stil-Vierer zur Deutschen Meisterschaft in Duisburg. Unsere Frauen Ingeborg Becher, Erika Helbing, Ingeborg Schulz, Brigitte Pfeiffer und Steuerfrau Renate Zehnpfund errangen damit den ersten gesamtdeutschen Titel im Rudersport.

Nach Sportfreund Paul Werner, der die Frauen schon zur DDR-Meisterschaft führte, wurden sie jetzt trainiert von Horst Völker. Vor der gesamtdeutschen Meisterschaft in Duisburg konnten sie zu den DDR-Meisterschaften in Grünau die Gegner der BSG Einheit Dresden Mitte und der BSG Chemie Buna Schkopau auf die Plätze verweisen.

1955 sollte das Jahr werden, wo sich der SC Chemie Halle-Leunamit zwei DDR-Meistertiteln noch Geltung verschaffte, bevor er im Ringen um nationale oder gar internationale Spitzenplätze kaum noch Erfolge verzeichnen konnte. Im Zweier ohne Steuermann wurde Harald Wolff und Fred Rother DDR-Meister. Den zweiten DDR-Meistertitel holte sich der im Vorjahrformierte Vierer ohne Steuermann mit: Manfred Richter, Roland Schwaten, Helmut Graßme, Horst Sauerbrey. Sie konnten in Grünau die hervorragend besetzten Mannschaften von SV Einheit Berlin (mit Karl-Heinz Witt, Franz Winkelmann, Eberhard Hirschfelder und Achim Hill) sowie den ZSK Vorwärts Berlin (mit Rolf Hieke, Karl Lorke,Heinz Dathe und Lothar Wundratsch) in einem beherzten Rennen schlagen.

DDR-Meister im Vierer ohne mit: Horst Sauerbrey, Helmut Graßme, Roland Schwaten, Manfred Richter

Dieser Meistertitel sollte für viele Jahre für den halleschen Ruderclub der letzte sein. Der bewährte Stilruder-Meister-Vierer belegte in diesem Jahr „nur“ Platz 2 hinter seinem Konkurrenten, der BSG Einheit Dresden Mitte. In diesem Rennen wurden zwei 3. Plätze vergeben, auf dem sich unser 2. Boot mit Renate Hirschfeld, Rosemarie Bauer, Regina Keil, Dagmar Oelschläger und Steuerfrau Gisela Woiczinski qualifizieren konnte.

Viele Nachwuchsruderer verpflichteten sich zum Training und ersetzten nun die „alte Ruderergarde“ bei vielen Regatten in der DDR und auch der BRD. 1956 erregten unsere jungen Ruderer viel Aufsehen und Anerkennung bei einer Regatta in Hannover. Die Allgemeine Hannoversche Zeitung schrieb am 5. Sept. 1956 zur Regatta auf dem Maschsee im Titel folgendes: “Überragender Gast: Chemie Halle-Leuna“.

Mit dem großem Aufgebot von 15 Booten startete der SC Chemie zu den DDR-Meisterschaften. Es wurde die Regatta der Vize-Meister, den sich hier der LGW-Vierer mit Stm., der Vierermit und der Vierer ohne sowie bei den Frauen der Doppelzweier und der Doppelvierer holte.

Der auf einigen Regatten führende Jugendachter wie auch die anderen Boote konnten sich nach hervorragenden Vorläufen in den Endläufen nicht behaupten.

Übrigens, zu dieser Meisterschaft wurde aber auch die jahrelange Vorherrschaft der ASK Vorwärts durch die DHfK Leipzig mit den meisten Siegen (u.a. im Achter) gebrochen.

1959 wurden im SC Chemie Halle einige Mannschaften neu formiert, die auf DDR-offenen Regatten auch einige Siege herausfuhren, bei den DDR-Meisterschaften aber keine Siege erringen konnten.

Nach der Saison 1959 wurden in Vorbereitung der Olympischen Spiele 1960 die Ruderkameraden Lutz Turich und Gerhard Philipp in die Nationalmannschaft delegiert. Neben einem zweiten Platz zu den DDR-Meisterschaften 1960 des Verbandsachters kam auch der DDR-Rudersport zu keinem nennenswerten internationalen Erfolg mehr. Der SC Chemie Halle-Leuna hat bis auf Platzierungen (3. Plätze für den „Pritschow-Vierer“ und im Jahre 1962 für den „Purgand-Achter“ bis zum Jahre 1971 bei Meisterschaften weder Siege noch irgendeine Platzierung unter den ersten drei Mannschaften erringen können.

Hier mussten Lösungen zur Verbesserung gesucht werden. Mit der Eröffnung der Rudersaison 1967 übernahm der bisherige Cheftrainer, Karl Hering, die Stelle eines Bezirkstrainers und verantwortlicher Trainer des SC Chemiewurde der Diplom-Sportlehrer Heinz Weigel, selbst ehemals ein erfolgreicher Ruderer der DHfK, dem dann weitere sehr erfolgreiche Trainer folgten (Gerhard Heine, Eberhard Mundt, Lothar Trawiel, Klaus Ritter und Bernd Lindner, Frank Köhler).